Interview mit der Autorin Karin Semelink

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Die Bücher meines heutigen Interview-Gastes handeln von ihrem eigenen Leben, ihrer Auswanderung nach Portugal und dem Projekt, das sie dort zusammen mit ihrem Partner durchführt.

Guten Tag Karin Semelink.

Gerade ist dein drittes Buch »Quinta Eanna – Lebenswert(e)« herausgekommen. Erzähl uns doch etwas über dieses Buch.

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Hallo und guten Tag,
Lebenswert(e) beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie viel ein Leben heutzutage noch wert ist. Dabei unterscheide ich nicht zwischen den Lebensformen an sich, also Mensch, Tier oder Pflanze. Respekt vor dem Leben ist in meinen Augen die Basis für eine gesunde Koexistenz zwischen dem Menschen und der Natur.
Das Buch zeigt anhand sehr konkreter und extremer Beispiele aus meinem Alltag, dass man das Leben bewahren und schützen kann, wenn man nur konsequent seinen Prinzipien folgt und bereit ist, dafür auch die notwendigen Mühen auf sich zu nehmen.

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Ich beschreibe in diesem Buch den Weg zweier Welpchen, die im Alter von 2 Tagen in einem Müllcontainer gefunden wurden. Man hatte sie mit dem Kopf aufgeschlagen und dann weggeworfen. In der Folge hatte eines der Babys einen Schädelbruch und bei beiden hatte sich das Gehirn nur zu 50% entwickelt. Auch das Kleinhirn war betroffen, welches ja bekanntermaßen den Bewegungsapparat bei Säugetieren steuert. Die sogenannte Fachwelt war sich einig, dass hier nur die Todesspritze helfen kann und man diese armen Geschöpfe „erlösen“ müsse.
Weder mein Mann Peter noch ich schließen uns derartigen Sichtweisen an. Unser Projekt soll Leben schützen und bewahren, nicht aber vernichten. Glücklicherweise arbeiten wir mit einem hoch kompetenten Ärzteteam zusammen, deren ethische Prinzipien den unseren entsprechen. Wie in unzähligen anderen Fällen machten sie uns nach intensiven Untersuchungen Mut, den Weg zu gehen und den beiden Welpchen das Tor zu einem Leben unter Artgenossen in Freiheit zu öffnen, ohne Schmerz, ohne Leid und letztlich auch ohne bleibende Behinderung.
Es war ein steiniger Weg, allerdings gehen wir diesen Weg immer wieder und das seit fast 20 Jahren. Die unzähligen Erfolge geben uns recht, die Todesspritze nicht anzurühren, sondern für das Leben zu kämpfen, OHNE dabei Leid zu säen oder gar Leid zu vermehren.
Die Initialzündung, die Geschichte der kleinen Welpchen aufzuschreiben und mit Bildern zu dokumentieren, kam, als ich vom Schicksal eines Welpen aus Bulgarien erfuhr, der unter denselben Hirnschäden litt, wie unsere beiden Kleinen. Ein „Tierschutzverein“ hatte sie medienwirksam nach Deutschland geholt, wohl wissend um die Behinderung. Obwohl die Kleine bereits ein Zuhause hatte und die Pflegestelle bereit war, sie zu übernehmen, wurde die Süße von diesem sogenannten „Tierschutzverein“ getötet, aus angeblich „tierschutzrelevanten“ Gründen. Wir hatten dem Verein Hilfe angeboten, weil wir mit diesen Dingen reichlich Erfahrung sammeln konnten, und wären auch bereit gewesen, den Hund zu übernehmen. Man löschte unser Angebot kommentarlos auf Facebook. Auch eine Petition mit 13.000 Unterschriften führte zu keinem Erfolg. Daher fand ich es wichtig, dieses Buch zu schreiben, denn letztlich kann man nur etwas verändern, wenn man mit konkreten Beispielen vorangeht und beweist, dass es auch anders geht. Für die süße kleine Hundedame in Deutschland konnten wir nichts bewirken. Das war in meinen Augen „Tierschutz auf den Kopf gestellt“.

Dein erstes Buch »Quinta Eanna – Schmerzgrenzen« handelt von deiner Auswanderung nach Portugal und der ersten Zeit auf der Quinta. Wie bist du auf die Idee gekommen, darüber ein Buch zu schreiben?

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Nun, die Gründe sind den o.a. nicht unähnlich. Ich wollte in meinem Leben etwas bewegen und mich nicht auf einem satten Gehalt in der Welt der Promis und Reichen ausruhen. Mir reichte das einfach nicht. Peter hatte da etwas begonnen, von dem ich spürte, dass es mich tief innen bewegte. Ich fühlte die Herausforderung, sah den Weg, den ich zu gehen hatte, und ich ging ihn.
Ich kenne nicht wenige Menschen, die ihrem Leben auch gerne eine Wende geben würden, aber nicht den Mut dazu finden. Sie glauben, keine Möglichkeiten zu haben, fühlen sich eingeengt, ohne Ausweg. Letztlich enden sie im Frust, den sie auf unterschiedlichstem Weg bekämpfen, seien es Konsum, Sex oder Sucht, doch sie finden weder ihre persönliche Erfüllung noch ihre Bestimmung darin.
Frauen scheinen mir von diesem Phänomen weit mehr betroffen zu sein als Männer. Ich möchte gerade den Frauen Mut machen. Wenn sie sich unausgefüllt, eingeengt, nicht wertgeschätzt oder perspektivlos fühlen, sollten sie genau den Weg beschreiten, den sie tief in sich als richtig erkannt haben. Ich meine dabei nicht das blindwütige Auswandern in ein chaotisches Leben ohne Plan und Verstand, wie man es in den diversen Dokus auf Vox u.ä. „bewundern“ kann. Vielmehr geht es mir darum, dass Frauen in sich hineinhören sollten, um zu erspüren, was sie wirklich innerlich bewegt, was sie frustriert und welche unerfüllten Wünsche sie haben. Wenn diese Ehrlichkeit zu sich selbst hergestellt ist, sollte man den nächsten Schritt gehen und sich befreien.
Ich denke, dass jeder Mensch einen festen Platz und eine Aufgabe in diesem Leben hat. Diese Aufgaben und Plätze sind so unterschiedlich wie der ganze Planet und das Leben selbst. Würde jeder Mensch SEINEN Platz in dieser Welt finden und ausfüllen, wo auch immer, so wäre unsere Welt ganz sicher eine Bessere, als sie es momentan ist.

Die Erlöse deiner Bücher und der Bücher deines Partners Peter J. Lang fließen in euer Naturschutzprojekt »Leben« e.V. Was ist das Ziel dieses Projekts?

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Die Rentner Ayleen und Bati.

Der Schmuser Rex und Hope

Ziel unseres Projektes ist es, die Natur in ihrer Ganzheit zu erfassen und zu schützen. Die Randbedingungen auf unserem 10 Ha großen Hof in der Abgeschiedenheit unberührter Natur sind dafür ideal. Wir haben uns also nicht einzelne Aspekte des Naturschutzes herausgegriffen, sondern arbeiten und leben in und mit der Natur unseres kleinen Tales. Pflanzen aller Art, Wildtiere ebenso wie Straßentiere und eben Tiere, die Elend und Leid erlebt haben, gehören zu unserem Projekt. Unser Ziel ist es, alle Lebensformen artgerecht und so frei wie möglich zusammenleben zu lassen, in einer unverfälschten Natur.
Vor allem die Kreaturen, die der sogenannten Zivilisation regelrecht zum Opfer gefallen sind, finden bei uns nicht nur ein neues Zuhause, sondern vor allem Fürsorge, Pflege und Heilung für Körper und Seele. Die Erhaltung der Regeln in der Natur und der Schutz des Lebens stehen daher für uns an oberster Stelle.
Wir sehen uns daher keiner Kategorie an „xxx-Schützern“ zugehörig, will sagen, dass wir uns weder als Naturschützer noch als Tierschützer sehen. Wir wehren uns vehement dagegen in eine dieser Schubladen gesteckt zu werden, zumal unsere konkreten, alltäglichen Erfahrungen mit Tierschützern so negativ sind, dass wir es eher als Beleidigung betrachten als solche bezeichnet zu werden. Der o.a. geschilderte Fall in meinem Buch „Lebenswert(e)“ ist ja leider kein Einzelfall, sondern die Regel. Nicht ohne Grund betonen wir im Projektnamen den Begriff „Leben“.
Im Kern beherbergen wir neben einem riesigen, frei lebenden Hunderudel mit aktuell rund 50 Tieren auch Pferde, Schweine, ggf. auch Katzen, Ziegen, Hühner, Enten usw. denen im Leben Schlimmes widerfahren ist.

Durch den »Spikinet-Verlag« verdient ihr zwar mehr an euren Büchern als »normale« Autoren. Aber trotzdem dürften die Einnahmen aus den Büchern wohl kaum reichen, um euer Projekt zu finanzieren. Lebt ihr von Spenden oder wie finanziert sich das Projekt?

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 Betty und Dorothee, die 2011 getötet werden sollten.

Im Wesentlichen haben wir das Projekt auch mit privaten Ersparnissen finanziert. Peter hatte ursprünglich nicht einmal geplant einen Verein zu gründen, um Spenden zu sammeln. Allerdings fressen einen die Kosten sehr schnell auf, wenn man es mit dem Schutz des Lebens ernst meint. Wir schränkten unseren Lebensstandard massiv ein. Letztlich wundert man sich, mit wie wenig man im Leben auskommen kann. Plötzlich kam mir auch der ganze Konsum, den ich in Deutschland gewöhnt war, völlig sinnentleert vor. Aber selbst wenn man sich in gebrauchte Spendenkleidung wirft, als Veganer ohnehin recht preiswert seine Speisen zubereiten kann, reicht es am Ende nicht, um so ein Projekt am Leben zu erhalten. So umfangreiche Ersparnisse hat man als „Normalo“ leider nicht. Wir hatten in Spitzenzeiten 100 Hunde zu versorgen, 40 Katzen, Pferde, Schweine, Hühner, Enten, Ziegen. Dabei geht es nicht nur um Futter und Pflege. Alle Tiere, die wir aufnehmen, sind ja körperlich krank oder verletzt, von der gebrochenen Seele gar nicht zu reden. Eine ordentliche medizinische Versorgung verschlingt Unsummen.
Letztlich musste also der Verein gegründet werden, der das legale Spendensammeln erst möglich macht – ein Umstand, der auch gerne übersehen wird, wenn sog. „private Initiativen“ Spenden auf Privatkonten einsammeln, ohne jegliche Kontrolle über den Verbleib der Gelder durch das Finanzamt.
Leider reichen die Spenden nicht aus, unser Projekt am Leben zu erhalten. Die Ersparnisse sind aufgebraucht und so setzen wir darauf, die notwendigen Mittel über den gemeinnützigen Verlag, der ja Teil des gemeinnützigen Projektes ist, zu verdienen. Jeder, der ein Buch kauft, weiß sein Geld zu 100% im Projekt angelegt. Der Leser ist soz. Leser und Spender zugleich, wobei er eben für seine Spende auch noch anspruchsvolle Literatur bekommt.

Im Spikinet-Shop gibt es deine Bücher und die von Peter J. Lang als Print-Ausgaben und teilweise auch als eBooks in den Formaten epub und mobi. Warum bietet ihr nicht alle Bücher auch als eBooks an?
Hmm, ich denke, das ist ein Irrtum. Nur mein neuestes Buch „Lebenswert(e)“ ist noch nicht als eBook verfügbar. Da es Abbildungen enthält, müssen wir erst rausbekommen, wie man das am besten umwandelt und diese Arbeit scheiterte bisher am Zeitmangel. Wir hatten uns gegen riesige Waldbrände zu schützen, die sehr nahe an unser Haus kamen und uns bedrohten. Da lagen die Prioritäten dann etwas anders. Dennoch wird es irgendwann so weit sein. Alle anderen Werke sind, wie gesagt, in beiden Formaten verfügbar.

Auf der Quinta habt ihr viele alte und kranke Tiere. Daher habt ihr doch sicher öfter Todesfälle. Ist das nicht schrecklich belastend?

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Der Hunderentner genießt seinen Lebensabend.

 Xenia konnte leider nicht gerettet werden.

Ein wunder Punkt, den Du da ansprichst. Klar, der Tod ist schon auch Teil unseres Alltags und das ist mehr als belastend. Wir kämpfen um das Leben einer jeden Seele, verlieren diesen Kampf nur selten, aber dennoch verlassen unsere Schützlinge irgendwann diese Welt auf natürlichem Weg. Es ist jedes Mal ein Stich ins Herz. Man gewöhnt sich niemals daran.
Irgendwie habe ich gelernt, damit umzugehen. In Deutschland habe ich als Bereiterin und Stallmeisterin bereits Bekanntschaft mit dem Tod gemacht, meist war es ein sinnloser, vermeidbarer Tod von Tieren, die ich zu versorgen hatte und es mit all meiner Liebe tat. Über ihr Leben bestimmen durfte ich jedoch nicht. Das war einer der gewichtigen Gründe, meinen Job nach 23 Jahren an den berühmten Nagel zu hängen und zu Peter auszuwandern.
Den Tod als Teil des „Werdens und Vergehens“ in der Natur zu begreifen und zu akzeptieren, ist für mich der Weg, mit dem Schmerz umzugehen. Ohne den Tod kann nichts Neues entstehen, und wenn man die Natur achtet, muss man auch diese Regel achten. Wichtig ist, dass der Tod ein natürlicher Vorgang ist und kein gewaltsamer. Dafür arbeite ich und das ist letztlich der Weg, am Tod nicht zu zerbrechen. Die Lebenden brauchen meine Kraft und meine Liebe, weswegen ich nicht tagelang in tiefer Trauer mit geröteten Augen hier herumlaufen darf. Ich musste das aber auch erst lernen. Unsere Tiere finden ihre letzte Ruhe auf einem Friedhof, den wir hegen und pflegen, um ihnen so die letzte Ehre und Achtung zu erweisen.

Du lebst ja jetzt schon viele Jahre in Portugal. Sprichst du mittlerweile Portugiesisch?
Schon … klar, aber nicht wirklich perfekt. Man muss sich vorstellen, dass Peter und ich 7 Tage und 24H in der Woche auf unserem Hof leben und kaum soziale Kontakte haben. Ich nenne es immer eine „Robinsonade“, was wir hier treiben. Einkaufen, Tierarzt und Peters Tochter Sarah hin und wieder besuchen, das ist unser Leben. Logischerweise lernt man da eine Sprache nur sehr schwer, weil einem die Praxis fehlt. Unser Schwiegersohn Tiago ist Portugiese, Enkelchen Shantala ebenfalls. Die beiden zwingen mich, portugiesisch zu sprechen und es klappt ganz gut, egal ob die Grammatik nun korrekt ist oder nicht.

Gibt es etwas in Deutschland, das du in Portugal vermisst?
Nicht wirklich, im Gegenteil kommt mir Deutschland immer absurder vor. Wir haben ja deutsches Fernsehen, bekommen also mit, was so läuft. Ich meine damit weniger die Politik – die ja ohnehin meist absurd ist -, sondern die Denkweisen der Menschen, der übertriebene Konsum, das Jammern, das ewige empört sein, die künstliche Betroffenheit, das zwanghafte Suchen nach Sensationen usw. Ich war ja selbst einmal Teil dieses typisch deutschen Lebens, heute kann ich es mir nicht mehr vorstellen.
Eines aber vermisse ich schon: ordentliche Brötchen mit Erdbeermarmelade, am besten die von meiner Oma, aber meine Schwägerin Maria aus Drevenack macht auch sehr leckere.

Und andersrum: Gibt es etwas an Portugal – mal von deinem Partner und eurem Projekt abgesehen 🙂 – dass du in Deutschland vermissen würdest?
Die Freundlichkeit der Menschen, die Warmherzigkeit und Offenheit, vor allem der Familiensinn und diese warme Schlichtheit, die den Menschen hier noch anhaftet, wahrscheinlich bedingt durch die allgemeine Armut in diesem Land. Hier gibt es wenig überzogenen Konsum, man ist dankbar, etwas zu essen zu haben, einen Job und ein Dach über dem Kopf. Man rückt zusammen, hilft sich, kennt weniger Neid. Dazu sollte man wissen, dass das Durchschnittseinkommen hier unter dem liegt, was man in Deutschland als Hartz IV bezeichnet. Die Lebenshaltungskosten (z.B. für die Dinge des täglichen Bedarfs) sind allerdings nicht niedriger als in Deutschland. Daher rücken die Menschen zusammen, sorgen füreinander, Generationen leben zusammen, sie gehen behutsamer miteinander um und das würde ich wirklich vermissen.

Wirst du noch weitere Bücher über das Leben auf der Quinta schreiben?
Klar, denn es gibt noch viele Geschichten zu erzählen, Geschichten, die Mut machen und zeigen, dass genau dieser Mut auch die sprichwörtlichen Berge versetzen kann. Entscheidend ist natürlich auch, was meine Leser interessiert, denn das Schreiben ist für mich kein Selbstzweck. Ich möchte Menschen erreichen und ihnen die Geschichten erzählen, die sie interessieren und ihnen ein wenig helfen, ihren Weg in einer zunehmend verwirrenden Welt zu finden.

Möchtest du uns sonst noch etwas erzählen?
Nun, ich hoffe sehr, eine noch breitere Leserschaft erreichen zu können, vor allem Menschen, die mich noch nicht kennen. Ich habe viele Fans und damit auch viele Leser aus meinem direkten Umfeld, das ist super. Mein großer Wunsch aber ist es, darüber hinaus die zu erreichen, die mich noch nicht kennen. Vielleicht finden sie ja ihre ganz persönliche Wahrheit in meinen Büchern. Das wäre toll!

Vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast, Karin Semelink. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg sowohl mit deinen Büchern als auch für euer Projekt.

Wer ein Buch von Karin Semelink oder Peter J. Lang kaufen will, sollte den Kauf nach Möglichkeit über die Seite des Spikinet-Verlags tätigen. Dann kommt der gesamte Erlös, nicht nur das Autorenhonorar, dem Projekt zugute.