Interview mit der Autorin Nicole Neubauer

Nicole-neubauer

Heute habe ich wieder eine der „Mörderischen Schwestern“, d. h. eine Krimiautorin zu Gast.

Guten Tag Nicole Neubauer.

Du bist mit der Krimireihe um den Kommissar Wächter sehr erfolgreich. Der zweite Band „Moorfeuer“ ist auf der Spiegel-Bestseller-Liste gelandet. Was ist das Besondere an dieser Krimireihe?

moorfeuer

Es ist natürlich immer schwer, das für meine eigenen Bücher zu sagen, ich bin zu nah dran. Ich denke, dass es meine Antihelden sind. Waechter, der grantelnde Münchner mit dem viel zu riesigen Herzen und seinem Messie-Problem. Hannes, der vegane Hipster, der sich auch mal bekifft ins Auto setzt, keinerlei Selbstschutz besitzt und regelmäßig austickt, eine Eigenschaft, die ihm auch schon mal um die Ohren fliegt. Elli, die schnoddrige übergewichtige Oberpfälzerin, die den Laden emotional zusammenhält, aber mit ihrer Schnauze auch niemanden so richtig an sich heranlässt. Das sind alle keine strahlenden Helden und machen es den LeserInnen auch sicher nicht leicht. Aber ich denke, dass Personen mit Brüchen es den Leuten auch leichter machen, sich mit ihnen zu identifizieren.

Ich gestalte meine Romanfiguren nicht aktiv, ich fülle keine Charakterbögen aus oder dichte ihnen Eigenschaften an. Sie entstehen beim Schreiben, ich lasse ihnen Freiheit und lasse sie Türen aufmachen und von sich erzählen. Manchmal überraschen sie mich auch. Die Figurenentwicklung gehört zu den schönen Momenten, die der Schreibfluss für mich bereithält.

Was mich am Schreiben einer Serie fasziniert ist, dass man Personen über lange Zeit begleiten und entwickeln kann. Sich Zeit lassen und richtige Biografien schreiben.

Mit dem Manuskript des ersten Bandes „Kellerkind“ bist du in das Förderprogramm der „Mörderischen Schwestern“ aufgenommen worden. Was hat man sich darunter vorzustellen?

kellerkind

Das Mentoringprogramm war für mich der Auslöser, meinen Brotberuf aufzugeben und professionell zu schreiben. Es ist ein Förderprogramm, das nicht mit Geld dotiert ist, sondern beinhaltet, dass man mit seinem Projekt ein Jahr lang von einer erfahrenen Schriftstellerin professionell gecoacht wird. Man bewirbt sich mit einem Exposé und einer Leseprobe, und wenn das Material einer Mentorin zusagt, kann man gemeinsam loslegen.

Ich hatte den Sechser im Lotto, dass Gisa Klönne sich für „Kellerkind“ interessiert hat. Sie hat mir gesagt, dass sich meine Sprache von den anderen Bewerbungen abgehoben hat. Wir haben ein Jahr intensiv miteinander gearbeitet und ich habe von ihr handwerklich alles übers Schreiben gelernt, was ich weiß. Sie hat mir nie Dinge vorgegeben, sondern mich immer selbst draufkommen lassen. Gisa ist für mich immer noch ein Vorbild und ihr Rat ist mir wichtig.

Wer sich für das Mentoringprogramm interessiert: Hier geht es zu allen Infos.
http://www.moerderische-schwestern.eu/ueber-uns/aktuelle-projekte/unser-mentoringprogramm/

Der dritte Band „Scherbennacht“ wir Mitte Juli herauskommen. Kannst du uns schon etwas darüber erzählen?

Scherbennacht

Mein Ermittlerteam der Münchner Mordkommission muss in einem Polizistenmord ermitteln. Ein Kommissar wird tot in seinem Dienstwagen aufgefunden, erschossen mit seiner eigenen Waffe. In der gleichen Nacht verwüsten Demonstranten einen Streifenwagen. Bei den Ermittlungen stoßen Waechter, Hannes und Elli auf Spuren, die in die eigenen Reihen führen. Sie wissen nicht, wem sie noch vertrauen können. Für alle, die am Ende des letzten Bandes gebangt haben, wie es weitergeht: Meine Truppe wird wieder komplett zum Dienst antreten. So viel darf ich spoilern.

Es geht um Gewalt von Polizisten, Gewalt gegen Polizisten und das Spannungsfeld, dem Polizeibeamte in ihrem Alltag ausgesetzt sind. Und dass sie auch nur Menschen sind, verletzlich und auch fehlbar.

Hier kann man schon mal in den Klappentext schnuppern und bald wird es auch eine Leseprobe geben: https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Scherbennacht/Nicole-Neubauer/Blanvalet-Taschenbuch/e512958.rhd

Schon 2011 hast du mit deiner Kurzgeschichte „Backstage“ den zweiten Platz im Broilerbar-Kurzgeschichtenwettbewerb gewonnen. Was war das für ein Wettbewerb?

Die Broilerbar ist ein virtueller Salon der Autorin Jay M. Walther auf Facebook. In dem Wettbewerb, der im Jahr 2011 stattfand, hat sie knackige Kürzestkrimis in der Länge von maximal einer Normseite prämiert.

Ursprünglich hast du Jura studiert und bist auch zugelassene Rechtsanwältin. Hat dich deine Anwaltstätigkeit zu den Krimis inspiriert?

Das Schreiben war für mich eher eine Abwechslung zur trockenen Anwaltstätigkeit. Ich war im Bereich Kapitalanlagerecht tätig und musste mit riesigen Streitwerten und Bilanzen jonglieren. Aber die Arbeit hat mir handwerklich viel fürs Schreiben gebracht, ich habe gelernt, wie ein Ermittlungsverfahren abläuft, wie eine Strafakte und ein Vernehmungsprotokoll aussehen, habe mit Staatsanwaltschaften und Kripo zusammengearbeitet und bin mit einem Privatdetektiv durch die Gegend gefahren. (Um den Monaco Franze zu zitieren: Ich wusste gar nicht, dass München so nah an Nürnberg liegt.)

Liest du selber auch etwas anderes als Krimis?

Zurzeit lese ich ausschließlich Bücher aus anderen Genres. Gerade habe ich „Namenlos“ von Nika Sachs und „Amerika“ von Joachim Meyerhoff beendet. Terry Pratchett lese ich immer wieder und ich bin ein Potterhead. Am liebsten würde ich alle Genregrenzen abschaffen, sie engen die Literaturlandschaft ein. Natürlich soll ein Buch handwerklich sauber geschrieben sein, aber wenn ich schön höre, man solle „Genreregeln“ folgen, bekomme ich die Krise. Das führt dazu, dass die Verlage massenhaft „Me too“-Titel produzieren, und dass man, wenn man ein bestimmtes Buchhandelsregal wählt, vorher schon genau weiß, was man bekommt. In manchen Büchern steht genau fest, was auf Seite 46 passiert. Überrascht mich!. Mir wäre es recht, wenn auf meinen Kriminalromanen einfach „Roman“ steht und wenn alle Autorinnen und Autoren ihr Bestes geben und ihre Herzensbücher schreiben. Bunt und wild.

Ich finde es gerade in diesen unruhigen politischen Zeiten wichtig, wahrhaftig zu schreiben und das Fenster zur Welt aufzustoßen. Wir haben als Schriftsteller auch eine Verantwortung, wir verändern die Gehirne derer, die unsere Bücher lesen, wir geben ihnen Ideen und Fantasien. Deswegen finde ich auch wichtig, eine Haltung zu haben. Das heißt nicht unbedingt, dass ich politisch oder hyperrealistisch schreibe, aber ich lasse meine Figuren ihr Handeln reflektieren und gebe ihnen Menschlichkeit mit in den Rucksack.

Hast du noch Zeit für Hobbys?

Ha! Mein Thema. Ich habe zwei Kinder im Grundschulalter und da bleibt für Hobbys nicht mehr viel Zeit übrig. Ich singe im Lassus-Chor (www.lassus.de), ein Münchner Konzertchor, der sich auf mehrchörige Musik der Renaissance, Romantik und der Gegenwart spezialisiert hat.

Voriges Jahr hast du zusammen mit zwei anderen „Mörderischen Schwestern“ eine Lesung in einem Frauengefängnis veranstaltet. War das nicht ein merkwürdiges Gefühl, als Schreibtischtäterin vor echten Täterinnen zu lesen?

Es war sehr schön, in so interessierte Gesichter zu schauen. Von jung bis alt war alles dabei und die Frauen waren sehr interessiert und haben viel gefragt.
Als ich meinen Hauptkommissar „Hannes Brandl“ vorstellte, fingen zwei junge Mädchen an zu kichern und bekamen sich gar nicht mehr ein. Hinterher fragten sie, ob meine Helden reale Vorbilder hätten. Es stellte sich heraus: Bei der Münchner Kripo arbeitet ein Hannes Brandl!
Lieber Herr Brandl, wenn Sie das lesen: Die Namensgleichheit ist reiner Zufall. Sie sind nicht gemeint. Und Sie haben sicher auch keine Cannabisplantage auf dem Kriechspeicher.

Über die Lesung habe ich auch in meinem Blog berichtet: https://www.nicole-neubauer.com/2016/03/25/hinter-gittern-lesung-im-frauengefängnis/

Schreibst du schon an einem neuen Krimi?

Es stehen sogar zwei Kriminalromane in der Pipeline (ich kann es nicht lassen). Der eine ist der vierte Band der Kommissar-Waechter-Reihe, der diesmal eher ein Thriller sein wird. Der zweite Krimi hat eine Archäologin als Protagonistin, die mit dem Raub eines keltischen Goldschatzes konfrontiert wird. Die Arbeitstitel sind noch geheim – weil ich sie selbst noch nicht kenne.
Das nächste Buch wird dann sicher ein Nicht-Krimi. Eine späte Coming-of-Age-Geschichte, die in Berlin Schöneberg spielt und sich um die Songs von David Bowie rankt. Für einen fünften Waechter-Krimi habe ich schon Schauplatz und Ideen. Für die nächsten Jahre bin ich ausgebucht. Bitte, liebe Ideen, gebt mir eine Pause!

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Vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg mit deinen Krimis.