Interview mit dem Autor Lars Jaeger

Lars__Jaeger

Zum letzten Interview vor der Sommerpause habe ich heute einen etwas ungewöhnlichen Autor zu Gast. Lars Jaeger ist Naturwissenschaftler, Unternehmer, alternativer Investmentmanager und Autor. Neben zahlreichen Publikationen zum Thema Hedgefonds-Management beschäftigt er sich in seinen Büchern mit Naturwissenschaften, Philosophie und Spiritualität. Sein neuestes Buch „Supermacht Wissenschaft – Unsere Zukunft zwischen Himmel und Hölle“ behandelt den Einfluss der Wissenschaft und ihrer Technologien auf unsere zukünftige gesellschaftliche Entwicklung. Kürzlich veröffentlichte er ein Essay zu Chancen und Risiken der CRISPR-Technologie (Gentechnologie).

Guten Tag Lars Jaeger.

Guten Tag.

Ihr Essay „Kampf um CRISPR – eine technologische Revolution zwischen wissenschaftlichem Erkenntnisdrang und kapitalistischer Verwertungslogik“ behandelt die neue Gentechnologie CRISPR, die Genmanipulationen sehr schnell, einfach und vergleichsweise billig macht. Der angesprochene Kampf bezieht sich auf Patentstreitigkeiten. Sind diese Streitereien für den „Normalbürger“ interessant? Wenn ja, warum?

Absolut. Tatsächlich ist es so, dass die Aussicht auf Milliarden-Geschäfte, die neue Technologien wie CRISPR versprechen, die Aufgabe, diese zu bewerten, zu kontrollieren und ggfs., wenn sie gefährlich werden, auch zu beschränken, noch schwieriger macht, als sie sowieso schon ist. Hinter dem Streit stecken gewaltige ökonomische Interessen einzelner Firmen und Institutionen. CRISPR-Patente könnten Milliarden von US-Dollars wert sein. Solche Summen konstituieren nahezu zwangsläufig „Sachzwängen“, bei denen sowohl Wissenschaftler als auch Unternehmer, zuletzt auch Politiker meinen, nicht mehr anders entscheiden zu können, als Technologien wie diese ohne weitere Bedenken weiterzuentwickeln bzw. weiterentwickeln zu lassen. Hier sollte die Öffentlichkeit daher genau hinschauen.

Wesentlich spannender als Patentfragen finde ich allerdings die ethische Frage: „Muss man wirklich alles machen, was gemacht werden kann?“ Aber gibt es überhaupt eine realistische Chance diese Entwicklung aufzuhalten?

Die Wissenschaftler selbst diskutieren ja schon die Auswirkungen ihrer Forschungen intensiv. Und dass unter ihnen der notwendige Diskurs möglich ist, zeigt beispielsweise der im Frühjahr 2015 veröffentlichte Appell einer Gruppe führender Biologen an die Öffentlichkeit, den mit CRISPR gegeben bio- und gentechnologischen Möglichkeiten Einhalt zu gebieten. Dieser Aufruf hat einen prominenten historischen Vorläufer: die von Bio-Wissenschaftlern organisierte Konferenz von Asilomar von 1975. Es war die erste Konferenz zu den Risiken der damals noch jungen Gentechnologie und der damals gerade erst entdeckten Technik der DNA-Rekombination. Konkret ging es in Asilomar bereits um mögliche Rahmensetzungen und Regeln zur Produktion und Handhabung gentechnisch veränderter Organismen. Die von den Wissenschaftlern dort beschlossenen Sicherheitsrichtlinien wurden in vielen Staaten später zur Grundlage von gesetzlichen Regelungen. Das sollte auch heute noch möglich. Und schließlich haben wir ja – im Westen – ganz klare Gesetze gegen genetische Eingriffe in die menschliche Keimbahn.

Kennen Sie „Helix- sie werden uns ersetzen“ von Marc Elsberg? Er hat in diesem Roman den ersten experimentellen Einsatz von CRISPR zum Design von Wunschkindern beschrieben. Das läuft dann im Endeffekt auf den Kampf zwischen normalen Menschen und superschlauen, körperlich überlegenen Designkindern hinaus. Ist das also ein realistisches Zukunftsszenario?

Ja, natürlich kenne ich Elsbergs Roman, wie auch seine beiden anderen, „Zero“ und „Blackout“. Alle drei sind wunderbar geschriebene Bücher, die der Kategorie „harte Science-Fiction“ zugeschrieben werden, also Zukunftsszenarien beschreiben, die sich sehr an wissenschaftlichen Fakten orientieren. Sie beschreiben also bestehende und realistischerweise mögliche Technologien. Und tatsächlich erscheinen solche Szenarien, wie sie Elsberg beschreibt (auch die in seinen andere Büchern) mit CRISPR/Cas9 sehr viel schneller realistisch zu werden als dies noch vor wenigen Jahren selbst die größten Optimisten unter den Gentechnologen für möglich hielten. So spekulieren die Wissenschaftler heute schon nicht mehr darüber, ob das erste CRISPR-Baby kommen wird, sondern darüber, wo es wohl geboren wird. Und mit Blick auf die jeweilige Gesetzeslage lautet die Antwort gemäß einer Umfrage des Wissenschaftsmagazins „Nature“: in Japan, China, Indien oder Argentinien.

Update 14.08.2017: Die Technik schreitet schneller fort als gedacht.
Essay zu dem ersten Versuch in den USA einen genveränderten Embryo zu erschaffen.

Kommt die Menschheit mit dieser Technologie in eine ähnliche Zwickmühle wie bei den Atomwaffen? Nach dem Motto: Ich muss diese Technik haben, weil die anderen sie auch haben (könnten).

Das könne man so sagen. Im Westen, d. h. in Europa und in den USA, sind ja, wie gesagt, Eingriffe in die menschliche Keimbahn und direkte Forschung an Embryonen (noch) verboten. Hier sind die Bedenken gegen solche Formen der Eugenetik generell sehr groß. Die Situation ist ganz anders in China, wo man eugenischen Bemühungen wie diesen sehr viel offener gegenüber ist. Es ist also durchaus ein Szenario denkbar, in dem die Europäer und Amerikaner sich einer Zwangssituation gegenüber sehen, in der sie, um mit China mitzuhalten, solche Forschungen ebenfalls erlauben müssen.
Bei den Atomwaffen ist es ja noch einigermaßen gelungen, ihre Ausbreitung zu verhindern, mit dem Atomwaffensperrvertrag von 1968. Die meisten Länder halten sich ja auch daran. Und die, die es nicht tun, sehen sich starkem internationalen Druck ausgesetzt (Nord-Korea, Iran). Das liegt auch daran, dass es gar nicht so einfach ist, Atomwaffen herzustellen und man dabei auch gut beobachtet werden kann. Bei CRISPR ist das ganz anders: Dafür benötigt man eine technologische Infrastruktur und ein Knowhow, das jedem durchschnittlichem Genlabor, ja bald sogar vielleicht gymnasialen Schulklassen zur Verfügung stehen könnte. Auf der Internet-Plattform „Indiegogo“ bereits „do-it-yourself“ Gen-Editier-Kits verkauft. Für grad einmal 130 US Dollar gibt es ein CRISPR-Set samt detaillierten Anweisungen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich ausgerechnet mit diesem Thema zu beschäftigen?

Ich beschäftige mich mit allerlei Themen, bei denen es einerseits um die Einflüsse von Technologien auf unsere Gesellschaft und unser Leben geht und andererseits um Bezüge und Zusammenhänge von Wissenschaft zu philosophischen oder gar spirituellen Fragen. Das Thema CRIPSR gehört zu ersterem Bereich, dem ich auch mein oben erwähntes neues Buch widme. In diesem Buch beschriebe ich die bahnbrechenden Entwicklungen auf den Feldern der Gentechnik, Datentechnologie, künstliche Intelligenz, Biologie, Physik, Neuro- und Bewusstseinstechnologien und zahlreichen weiteren Feldern, und was diese für uns alle bedeuten. Zu CRISPR habe ich über die Jahre auch schon einige Blogs auf meiner Website veröffentlicht.

Haben Sie einen Rat für die Leser*innen, wo und wie sich Laien über dieses Thema und den aktuellen Entwicklungsstand informieren können?

Nun, das Thema beherrscht leider nicht die Frontseiten der Tageszeitungen. Es ist schon erstaunlich, wie wenig von den Wissenschaften die Rede ist, wenn uns Journalisten und andere Meinungsmacher Weltzusammenhänge und wichtige gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen wollen. So muss man sich fragen: Ist das in allen Einzelheiten ausgebreitete alljährliche Stelldichein einer selbsternannten Weltelite in Davos wirklich so viel wichtiger als aktuelle naturwissenschaftlich-technologische Entwicklungen, die uns weit stärker betreffen, als das Gerede der allermeisten heutiger Politiker?
Aber wer im Internet sucht, der/die findet viel zu diesem und anderen Themen. In unzähligen Foren, interaktiven Online-Diskussionsplattformen, sozialen Netzen, Clubs, Blogs, NGOs, Bürgergruppen gibt es nahezu alle Information, die man braucht, um sich up-to-date mit den neusten Entwicklungen auf den verschiedenen Feldern der Wissenschaft und Technologie zu halten. Im deutschsprachigen Bereich nenne ich mal Plattformen wie ‚Scilogs.de‘ (auf der ich auch selber schreibe), ‚scienceblogs.de‘ oder ‚bloggerei.de‘, wo zu den verschiedensten Themen in Wissenschaft und Technologie engagiert informiert, diskutiert, gestritten und rezensiert wird. Und es gibt noch Unzählige mehr. Und vielleicht sollte man sich eher mal ein Abonnement von „Spektrum der Wissenschaft“ zulegen als von „Hörzu“ oder der „Glückpost“.

2016 ist Ihr Buch „Wissenschaft und Spiritualität“ erschienen. Was hat man sich darunter vorzustellen? Eine philosophische Abhandlung?

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Es ist eine philosophische Reise durch gemeinsame Entstehungsgeschichten wissenschaftlichen und spirituellen Denkens, wobei sich „spirituell“ von „religiös“ und „jenseitsbezogen“ – und natürlich insbesondere von esoterischen Gefilden – abgrenzt. Spiritualität ist eine innere (geistige) Qualität von uns, mit anderen Worten, ein Zustand unseres Bewusstseins, der unser Denken und Handeln beeinflusst und uns auf etwas ausrichtet, beispielsweise auf einen Willen, etwas wissen zu wollen oder auf eine bestimmte Art zu handeln. Und diesem Willen entspricht ein tiefer Wunsch nach Wahrheit und Sinn. Spiritualität sollte damit dem modernen wissenschaftlichen Denken recht nahe stehen.
Das Buch ist das Resultat – oder besser ein Zwischenstand – einer Jahre- oder sogar Jahrzehnte langen Auseinandersetzungen mit naturphilosophischen, erkenntnistheoretischen, wissenschaftlichen und ethischen Fragen, die mich schon seit meiner Jugend bewegen, und ich bin sicher, nicht nur mich. Dabei geht es mir auch um eine Auseinandersetzung mit anderen spirituellen Traditionen als der abendländisch-christlichen, insbesondere der buddhistischen. In dem Buch vertrete ich die These, dass Naturwissenschaft und spirituelle Denktraditionen mehr Gemeinsamkeiten kennen, als ihre Gegensätze und Wesensunterschiede vermuten lassen. Was unter anderem beide Zugänge eint, ist die Suche nach den großen Weltgeheimnissen und ihrer Erklärung. Werden uns die Physiker irgendwann den Anfang der Welt erklären? Werden wir eines Tages erfahren, wie aus dem Netzwerk von Neuronen in unserem Gehirn Bewusstsein hervorgeht? Werden wir wissen, wie die allerkleinsten Strukturen der Materie aussehen? Und wenn ja, was heißt das jeweils für uns, für unser Selbstbild und unser Welterleben? Was bedeutet es schließlich für unsere zentrale Frage nach dem „Sinn des Ganzen“?

Schon 2015 haben Sie „Die Naturwissenschaften. Eine Biographie“ herausgebracht. An wen richtet sich dieses Buch?

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Das Buch ist sehr breit angelegt. Es richtet sich an Leser, die an wissenschaftlichem Denken, seine Geschichte und Philosophie interessiert sind. So dachte ich mir zum Beispiel beim Schreiben, dass sich mir als Gymnasiast gewünscht hätte, es gäbe ein solches Buch.
Ich habe in diesem Buch versucht, in einer anschaulich erzählenden, verbindlichen und zugleich verbindenden Art den Leser in die Ideen- und Wirkungsgeschichte der Naturwissenschaften von ihren philosophischen Wurzeln in der griechischen Antike bis zu String-Theorien und Genforschung des 21. Jahrhunderts einzuführen. Ich glaube, mit der Darstellung ihrer historischen Entwicklungen eröffnen sich auch Nichtwissenschaftlern die Fragestellungen der heutigen oft sehr komplex erscheinenden wissenschaftlichen Erkenntnis in Disziplinen wie Quantenphysik, Relativitätstheorie, Genforschung, Bio-Chemie bis zu den modernen Informationstechnologien. Mein Ziel ist es, dem Leser geradezu als wie in einer Abenteuergeschichte die „Magie des Wissens“ zu vermitteln, mit offenem Ausgang, als stetiger Fluss von Ideen, die in ihrem Ziel offen sind, aber zugleich die allzeitige Sehnsucht der Forscher illustriert, zu erfassen, was die „Welt im Innersten zusammenhält“. Der Leser soll dabei die Bedeutung des naturwissenschaftlichen Denkens für unser Weltwissen erfahren und dabei aber auch immer tiefer zum Nachdenken über die Geschichte der menschlichen Naturerfahrung und die Entwicklung des methodischen Fundaments der modernen Wissenschaften kommen. Zuletzt wird dabei auch ihre Interdependenz mit der Geistes- und Gesellschaftsgeschichte deutlich.

Werden Sie das Thema CRISPR auch in einem Buch weiter behandeln? Oder arbeiten Sie zurzeit an einem anderen Thema?

In meinem neuen Buch „Supermacht Wissenschaft – Unsere Zukunft zwischen Himmel und Hölle“, das im August erscheint, kommt CRISPR natürlich prominent vor. Zurzeit arbeite ich allerdings an einem anderen Thema: eine umfassende Bewertung und Diskussion der modernen Quantenphysik mitsamt ihren philosophischen wie technologischen Implikationen.

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Was möchten Sie den Leser*innen sonst noch erzählen?

Es ist ganz allgemein mein Ziel, den Leserinnen und Lesern meiner Bücher einen Zugang zu wissenschaftlichen Themen zu vermitteln, mitsamt ihren philosophischen, wie auch alltäglichen und technologischen Auswirkungen. Dabei vertrete ich die These, dass wir als Menschheit an einem Bifurkationspunkt stehen: Die Wissenschaft der nächsten 20-40 Jahre wird uns mit der Möglichkeit konfrontieren, den Menschen selbst in seinen physischen und mentalen Eigenschaften zu verändern, wir werden damit eine Transformation erleben, die „alles verändern könnte“.

Vielen Dank für das Interview Lars Jaeger. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.

Ich danke Ihnen.

Auf den Autor bezogene Werbung:
Homepage des Autors: http://larsjaeger.ch/?lang=de