Titel: Pici. Erinnerungen an die Ghettos Carei und Satu Mare und die Konzentrationslager Auschwitz, Walldorf und Ravensbrück
Autor: Robert Scheer
Biografie, broschiert, 193 Seiten, Marta Press
Der Autor: Robert Scheer wurde in Carei, in Rumänien geboren. Als Kind emigrierte er mit seiner Familie nach Israel. Nach dem Abitur arbeitete er als Rockmusiker, Dolmetscher und Musikproduzent. An der Universität Haifa studierte Robert Scheer Philosophie, Kunstgeschichte und Deutsch. Nach seinem Master-Abschluss setzte er seine Studien an der Universität Tübingen fort. Seit 2008 arbeitet Robert Scheer als Schriftsteller.
Das Buch: Anlässlich ihres 90. Geburtstags im Jahr 2014 reist Robert Scheer nach Israel zu seiner Großmutter Elisabeth Scheer, genannt Pici. Bei dieser Gelegenheit erzählt sie ihm von den 1940er Jahren in Rumänien und wie sich die Lage für die jüdische Bevölkerung durch den Nationalsozialismus verschlechterte. Sie berichtet weiter über ihre Aufenthalte in den Ghettos Carei und Satu Mare und über die Konzentrationslager Auschwitz, mit seinem berüchtigten Außenlager Walldorf, Ravensbrück und Rechlin. 1945 wird Pici im mecklenburgischen Malchow durch die russische Armee befreit.
Trotz des nicht sehr erfreulichen Themas lässt sich dieses Buch sehr gut lesen, da es im Stil einer Unterhaltung zwischen dem Autor und seiner Großmutter geschrieben ist. Dadurch wird der Leseeindruck aber auch sehr persönlich und eindrücklich. Man erlebt im Zeitraffer mit, wie aus einer behüteten jungen Frau aus bürgerlicher Familie ein unter erbärmlichen Bedingungen um sein Leben kämpfender Mensch wird.
Im ersten Teil des Buches erfährt man viel über Picis Familie und deren Lebensumstände vor und während des Nationalsozialismus. Keiner von ihnen wird diese Zeit überleben. Angereichert ist dieser Bericht durch Fotografien der Familie. So wird die Erzählung viel persönlicher, weil man glaubt, die Menschen, um die es geht, zu kennen.
Im weiteren Verlauf begleitet der Leser Pici erst in die Ghettos und schließlich die Konzentrationslager. Er wird Zeuge, wie nach und nach alle Familienmitglieder verschwinden bis nur noch Pici übrig bleibt.
Man erlebt gleichsam mit, wie die jüdische Bevölkerung systematisch nicht nur entrechtet, sondern in den Konzentrationslagern auch entmenschlicht werden soll.
Ich halte dieses Buch für ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument. Heute leben nicht mehr viele Menschen, die diese Zeit selber erlebt haben. Eine persönliche Lebensgeschichte ist nun mal eindrücklicher als historische Beschreibungen von Experten. Gerade in der aktuellen Situation, in der rechtes, auf Nationen zentriertes Gedankengut wieder auf dem Vormarsch ist, kann man diesem Buch nur eine möglichst große Leserschaft wünschen.
In einem Nachwort hat die Verlegerin Dokumente zusammengetragen, die die persönlichen Erinnerungen untermauern. Ungarn kam erst Anfang 1944 unter nationalsozialistische Herrschaft. Carei gehörte während des Zweiten Weltkriegs zu Ungarn, seit Kriegsende gehört die Stadt zu Rumänien. Die totale Entrechtung, Einweisung in die Ghettos und später die Konzentrationslager begann daher – zu Picis Glück – auch erst 1944. So musste sie »nur« ein Jahr Nationalsozialismus überleben. Aber dieses eine Jahr reichte aus, um die gesamte Familie auszulöschen.
Ich kann dieses Buch uneingeschränkt jedem empfehlen. Es ist sicher keine nette Feierabend-Lektüre, aber man hat trotzdem Probleme das Buch wieder aus der Hand zu legen.