Sollten Bücher in „leichte Sprache“ übersetzt werden?

Renate Blaes

Heute gibt es in der ABS-Lese-Ecke einen Gastbeitrag von Renate Blaes zum Thema „leichte Sprache“.

Die deutsche Sprache verfügt über rund 500.000 Wörter, aktiv werden davon rund 16.000 benutzt – durchschnittlich. Sozial niedrigere Schichten benutzen weniger Wörter, soziale höhere mehr.

16.000 Wörter reichen also, um miteinander zu kommunizieren. Verbal und schriftlich. Die schriftliche Kommunikation hat aufgrund des Internets deutlich zugenommen, ist deshalb aber nicht besser geworden. Im Gegenteil. Ich moniere ständig die mangelhafte Kenntnis von Rechtschreibung und Grammatik, speziell in sozialen Netzwerken und Blogs, wo es von Fehlern nur so wimmelt. Und damit meine ich keinesfalls die Tippfehler …

Und nun gibt es die „Leichte Sprache“. Unter diesem Begriff versteht man „leicht verständliche“ Sprache. Sie wurde eingeführt von dem Verein Netzwerk Leichte Sprache um Menschen mit Sprachproblemen das Verstehen von Texten zu erleichtern.

Ich war immer schon für leicht verständliche Sprache, und kann deshalb Bücher von Thomas Mann nicht leiden, der es schaffte, einen Satz auf einer Seite oben anzufangen und ihn bis zum Ende der Seite nicht zu beenden. „Schachtelsatz“, nennt man so was. Furchtbar! Eine Qual für den Leser. Für mich zumindest. Denn ich liebe klare Sprache. Also kurze Sätze, eindeutige Begriffe und einfache Ausdrucksweise.

Ann-Bettina hat in ihrem Artikel über „Leichte Sprache“ die Frage gestellt, ob man Bücher in „leichte Sprache“ übersetzen solle. Meine Antwort darauf lautet: Auf keinen Fall! Denn Ann-Bettina hat völlig recht, wenn sie sagt, dass jeder Autor seinen individuellen Schreibstil hat. Den sollte man nicht „übersetzen“ in „leichte Sprache“. Aber meine Bitte an schreibende Menschen lautet: Schreib einfach. Drück dich klar aus. Verzichte auf verschwurbelte Formulierungen und schreibe so, wie du sprichst. Dazu muss ich sagen, dass wohl kaum ein Autor tatsächlich so schreibt wie er spricht, aber es sollte beim Leser so rüber kommen.

Ein gutes Beispiel für klare und vermeintlich einfache Sprache ist das Buch „Die Wand“ von Marlen Haushofer.

Hier ein Auszug daraus:

“… Und da war das Kalb, so plötzlich, dass ich vorspringen und es auf meinem Knien auffangen musste. … Ich legte das Kleine vor Bellas (die Kuh) Vorderbeine, und sie fing sofort an, es abzuschlecken. Wir waren beide selig, es so gut gemacht zu haben. Es war ein Stierkalb, und wir hatten es gemeinsam ans Licht gebracht. Bella konnte sich gar nicht genug darin tun, ihren Sohn abzuschlecken, und ich bewunderte seine feuchten geringelten Stirnlocken. … Schon nach ein paar Minuten versuchte er, auf die Beine zu kommen, und Bella sah aus, als wollte sie ihn vor Liebe auffressen. … In ihren feuchten Augen konnte ich lesen, dass sie in warmem Glück schwamm. Mir wurde ganz sonderbar zumute, und ich musste aus dem Stall flüchten.”

Ich wüsste nicht, wie man diesen wunderbaren Text in „leichte Sprache“ übersetzen könnte. Und wenn – es wäre bestimmt ein Frevel.

Es geht bei Literatur nicht darum, dass der Leser einen Sachverhalt versteht, sondern dass er Freude daran hat, wie der Sachverhalt, oder ein Gefühl, oder eine Situation – beschrieben wird. Denn genau darin liegt die Kunst des Schreibens: in „leichter“ Sprache, nicht in „simpler“ Sprache.
Bei Gebrauchsanweisungen dagegen gilt die umgekehrte Regel … leider wird sie meistens nicht befolgt.

3 Gedanken zu „Sollten Bücher in „leichte Sprache“ übersetzt werden?

  1. Susanne

    Ich finde ebenfalls die leichte Sprache im Bereich der Behörden eine sehr gute Einrichtung. In der Literatur hat sie aber nichts zu suchen – zum einen, weil es bereits leicht geschriebene Bücher gibt (die man als Einstieg nutzen könnte) und zum anderen, weil ein Schriftsteller nicht nur durch den Inhalt sondern auch ganz gezielt durch die Wortwahl etwas bestimmtes ausdrucken möchte, was man nicht einfach durch Synonyme mit ähnlicher Bedeutung ersetzen könnte!
    Zudem würde jemand, der nicht gern liest, einen Roman auch dann nicht lesen, wenn er in leichter Sprache geschrieben wäre…

    • Ann-Bettina Schmitz

      Hallo Susanne,
      es geht bei der „Leichten Sprache“ nicht um Leute, die nicht gerne lesen, sondern um diejenigen, die auf Grund einer Behinderung nicht dazu in der Lage sind komplexe Texte zu erfassen.
      Natürlich geht bei einer Übersetzung in Leichte Sprache der Sprachstil des Autors unter und es bleibt nur die Geschichte übrig.
      Ich glaube, ob das Sinn macht, kommt auf das Buch an. Ich könnte mir z. B. vorstellen, dass ein Buch von Marc Elsberg auch in der Übersetzung noch Sinn macht. Ein Provence-Roman von Peter Mayle dagegen nicht, da diese Bücher vom Sprachstil leben.
      Viele Grüße
      Ann-Bettina

    • Renate

      Bei Behörden jeglicher Couleur ist sie SEHR sinnvoll, denn dann könnten auch Menschen ohne Sprachprobleme deren Texte verstehen … 😉

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