Mein heutiger Interview-Gast ist eine Science-Fiction-Autorin.
Guten Tag Anja Fahrner.
Dein Debüt-Roman „Alkatar“ ist im Juni letzten Jahres erschienen. Erzähl uns doch etwas darüber.
Gerne. Die Geschichte dreht sich um folgende Frage: Was wäre, wenn die Menschen die Erde im Jahre 2030 an den Rand einer Katastrophe gebracht hätten und durch eine außerirdische Macht die letzte Chance für einen Neuanfang auf einer ursprünglichen Welt bekämen? Würden sie einen besseren Weg als in ihrer Vergangenheit einschlagen?
Dieses Szenarium habe ich aus der Sicht des Heerführers und Wächters Alkatar beschrieben, eines Jägers aus dem telepathisch begabten Volk eines fernen Planeten. Unter seiner Anleitung sollen diejenigen Menschen, die für eine geheime Rettungsmission rekrutiert wurden, einen Lebensweg in Einklang mit der Natur beschreiten.
Doch als ein intergalaktischer Krieg die Teilnehmer von der Außenwelt abschneidet, wird Alkatar nicht nur mit seinen verschütteten Sehnsüchten, sondern auch mit den Abgründen der menschlichen Natur konfrontiert.
Deine erste Veröffentlichung war aber die Kurzgeschichte „Der glückliche Keks“ in einer SF-Anthologie. Der Titel klingt eigentlich mehr nach einem Märchen für Kinder, weniger nach einer SF-Geschichte. Handelt sie wirklich von einem Keks?
Ja, es kommt ein Keks auf einem Werbeplakat vor, aber der spielt eher nur eine symbolische Rolle. Es geht um die Illusion von Glück, die von der Werbung vorgespielt wird und nichts mit dem Zweck und der wahren Qualität des Produktes zu tun hat. „Der glückliche Keks“ stammt noch aus der Anfangszeit meiner schriftstellerischen Tätigkeit und war eigentlich nicht zum Veröffentlichen gedacht, sondern war ein spontaner Einfall, diente mir dazu, zwei meiner Protagonistinnen und eine der Welten im Alkatar-Universum besser zu verstehen. Als ich die Ausschreibung von „Wir machen Druck“ zur SF-Anthologie „Parallelwelten“ zufällig las, musste ich an meinen Text denken und schickte ihn einfach mal ein. Und er wurde tatsächlich aus einer ansehnlichen Anzahl Geschichten ausgewählt.
Wie bist du dazu gekommen, ausgerechnet Science-Fiction zu schreiben? Hast du als Kind immer Perry Rhodan gelesen?
Als Kind habe ich Seeräuberabenteuer und Pferdebücher gelesen. Ehrlich. Später las ich auch Science-Fiction, aber Autorin wollte ich eigentlich nie werden. Ich kam von heute auf morgen dazu, im Dezember 2009. Da wachte ich eines Morgens auf und sagte zu meinem Mann. „Ich habe ein Universum geträumt, das mehrere Bände füllen kann.“ Dann setzte ich mich noch am gleichen Tag hin und begann zu schreiben. Einfach so, weil ich das unwiderstehliche Bedürfnis hatte, dieses Universum in Worte zu fassen. Ich bin eigentlich ein rationaler Mensch, deshalb war das für mich ein erstaunliches Phänomen. Mit den Jahren wurde mein Geschreibsel besser und durch das Lernen von Schreibregeln auch strukturiert. Seitdem ist das Schreiben für mich zu einer Leidenschaft geworden.
Du hast ja einen recht interessanten Lebenslauf. Erst hast du Gärtnerin gelernt, dann Psychologie studiert und auch jahrelang in dem Beruf gearbeitet, heute bist du Selbstversorgerin und Autorin. Spiegelt sich das auch in deinen Geschichten wider?
Wir sind die Summe unserer Erfahrungen und ich würde leugnen, wenn ich behaupten würde, dass in meinen Büchern nichts von mir drinsteckt. Natürlich stecke ich da drin; meine Lebenserfahrung, meine Träume, meine Naturverbundenheit, die vielen Begegnungen mit Menschen und meine verrückten Ideen. Ich kann besser über das schreiben, was ich selbst erlebt habe, alle Sinne bedienen, wie man so schön sagt. Es sind Bröckchen meiner Persönlichkeit, einzelne Momente, ein Geruch oder ein Gefühl, neu gemischt zu einer für mich aufregenden Geschichte.
Sicher träumen viele Leute davon, aus dem Trott des Arbeitslebens auszuscheiden. Gerade für Autoren ist es verlockend, sich ganz dem Schreiben widmen zu können. Aber geht das wirklich? Ist die Selbstversorgung nicht auch mit einer Menge Arbeit verbunden?
Unsere Arbeit ist deutlich weniger geworden als in der Zeit unserer Berufstätigkeit. Nach unserem Ausstieg hatten wir plötzlich Zeit für Dinge, die vorher liegen geblieben sind, wie etwa Renovierungsarbeiten, für Sport, gesunde Ernährung – und natürlich für das Schreiben. Das Selbstversorgerleben läuft phasenweise ab, wird vom Wetter und den Jahreszeiten bestimmt. Im Sommer gibt es mehr im Winter weniger zu tun. Es gibt einzelne stressige Tage in der Erntezeit, aber die sind nicht mit dem Stress im Berufsleben zu vergleichen, der meist ein ständig hohes Level erreicht. Wir sind ja auch keine vollständigen Selbstversorger, sondern versorgen uns nur etwa zu 80% mit Obst und Gemüse. Da wir Vegetarier sind, können wir gerade im Sommer einen Großteil unserer Ernährung damit decken. Aber ich muss trotzdem einmal die Woche einkaufen. Vollständige Selbstversorgung ist in unserer Gesellschaft eher illusorisch.
Was hat dich dazu bewogen, aus deinem früheren Arbeitsleben auszuscheiden?
Ich war über zehn Jahre als Neuropsychologin in einer neurologischen Klinik tätig. Es war eine befriedigende und nützliche Tätigkeit, jedenfalls zu Beginn. Doch hier war die Entwicklung, wie sie überall in den sozialen Berufen derzeit ist. Zeitoptimierung und Gewinnmaximierung gehen auf Kosten der Menschlichkeit und der Gesundheit der Angestellten. Ich wollte nicht mehr durchs Leben hetzen mit immer weniger Zeit für den einzelnen Patienten. Wenn ich mich auf die Patienten aus Zeitmangel nicht mehr einlassen kann, dann hat der Beruf für mich seinen Nutzen verloren. Sind wir denn nur noch Sklaven, die ausgepresst werden, um den Reichtum von Wenigen zu mehren? Wo bleibt der Einzelne, wo der Kranke, wo der Alte, wo die Kinder? Die Helfer wollen helfen, aber sie zahlen mit ihrer Gesundheit dafür. Mein Mann und ich beschlossen, wieder mehr Eigenverantwortung für unser Leben zu übernehmen und arbeiteten auf unseren Ausstieg hin. Das haben wir lange geplant und vorbereitet. War der Mensch nicht einst ein soziales und selbstbestimmtes Wesen? Ja, es gab andere Probleme, aber wir konnten ohne Plastik überleben. Heute sind wir zu unselbstständigen, oft einsamen Konsumenten geworden, die ihre Verantwortung für viele Lebensbereiche in die Hände einer rücksichtslosen Industrie legen. Können wir ohne Supermarkt überhaupt noch bestehen? Viel wertvolles Wissen ist verloren gegangen.
Konsum scheint dein beherrschendes Thema zu sein. Nun ist übertriebener Konsum sicher nicht sinnvoll. Aber glaubst du wirklich, dass alle Leute als genügsame Selbstversorger leben könnten?
Konsum ist nur eines meiner Themen und bildet nur den Schwerpunkt in meinen beiden Kurzgeschichten. Im Grunde geht es mir um Probleme, die sich in der Gegenwart abzeichnen und unsere Welt immer mehr zu einem lebensfeindlichen Raum werden lassen, was die Natur aber auch die sozialen Verhältnisse betrifft. Diesen Missständen gebe ich eine Bühne in der Zukunft, um vielleicht ein paar Leser zum Nachdenken anzuregen. Manchmal versteht man Dinge besser, wenn man sie aus der gewohnten Umgebung herauslöst und in überspitzter Form darstellt.
Selbstversorgung ist nur ein möglicher Lösungsweg, es geht um neue Gesellschaftsstrukturen. Es geht nicht unbedingt um Genügsamkeit, sondern eher um ein Zurechtrücken von Werten, um das Bewusstwerden der eigenen Verantwortung im täglichen Handeln. Wir konsumieren und zerstören, ohne uns die Konsequenzen bewusst zu machen. Genügsamkeit bedeutet für mich auch das Besinnen auf das Wesentliche, auf das, was uns wirklich zufrieden macht. Ein Zuwachs an Dingen bedeutet nicht unbedingt einen Zuwachs an Glück, sondern ist oft nur eine Ersatzbefriedigung, um die Leere im Leben auszufüllen. Das funktioniert nur kurzfristig. Wir kreisen um uns selbst, hetzen dem falschen Glück hinterher, angetrieben von Gier, Machtstreben und Bequemlichkeit. Hinter uns lassen wir eine Straße aus Müll, Gift und Elend zurück. Unsere Gesellschaft, so wie sie jetzt ist, erinnert mich an einen Zug, der immer mehr beschleunigt, obwohl der Fahrer das Ende der Strecke bereits sieht. Wird es nicht langsam Zeit, Wissen und Fortschritt für etwas Sinnvolles einzusetzen?
Liest du auch andere Bücher als Science-Fiction?
Ja, ich lese fast alles, wenn es der Autor versteht, mich mit Schreibstil, Handlung und Figuren in seine Geschichte hineinzuziehen. Das einzige Genre, in dem ich mich mit dem Lesen schwertue, sind Krimis.
Kannst du dir vorstellen, etwas anderes zu schreiben als Science-Fiction-Romane? Beispielsweise eine Art Handbuch für Selbstversorger?
Oh ja. Wenn mich die Leidenschaft für ein Thema packt, dann kann ich alles schreiben. Es muss nur ein Funke da sein, der meine Ideen in Brand setzt.
Schreibst du schon an einem neuen Buch?
Ja, an „Alkatars Erbe“. Das Buch spielt etwa 500 Jahre nach Alkatar und handelt von einer fernen Welt, die von reichen Händlern dominiert wird. Die Herrschenden gründen ihren Status auf Lügen. Alkatars Nachfahren wurden zu Kriegersklaven degradiert, die nichts von ihrer wahren Herkunft ahnen und die Handelskonvois vor mutierten Bestien schützen. Ein unvorhergesehener Kontakt zur „modernen“ Erde ändert alles. Es geht um Wahrheitsfindung, Gerechtigkeit und Pflichterfüllung. Das Buch ist bereits fertig und befindet sich in der Überarbeitungsphase, dem inhaltlichen Lektorat.
Möchtest du den Leser*innen sonst noch etwas erzählen?
Eine kleine Botschaft würde ich gerne mit auf den Weg geben. Liebe Leser*innen, seid neugierig und offen für die Geschichten, die ihr lest. Bücher sollten zwar auch Entspannung bieten und große Gefühle befriedigen, aber viele Autoren wollen noch mehr. Oft haben sie Botschaften in ihren Büchern versteckt, sind vielleicht Visionäre, prangern Missstände an oder wollen einfach etwas mit auf den Weg geben. Haltet inne, lasst euch darauf ein und lauscht eurem Herzen. Wir haben nur ein Leben und es rast an uns vorbei, ohne, dass viele von uns das Wesen des Lebens wahrhaft begreifen. Nehmt euch Zeit für den Moment, für eure Mitlebewesen, für die Natur. Wir sind es, die die Welt gestalten. Und nur wir sind es, die etwas daran ändern können. Auch die kleinste Veränderung kann große Auswirkungen haben, für uns selbst – oder auch für ein Lebewesen, das uns begleitet oder unseren Weg kreuzt.
Vielen Dank für das Interview, Anja Fahrner. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg.