„Mein Sommer mit Jiri“ von Enya Kummer
Er stand da, lässig an die Seitenwand des Kiosks gelehnt. Sofort fiel mir „Der Zigeunerbaron“ ein, Sandor … Welche merkwürdige Assoziation, aber dieser Junge hatte etwas von einem Zigeuner, ich war sofort fasziniert. Automatisch verlangsamte ich meinen Schritt. Ich wusste, dass ich ihn unhöflich anstarrte, konnte es aber in diesem Moment nicht verhindern.
Schlank, groß gewachsen, schwarze, etwas längere Haare. Er trug ein weißes Hemd ohne Kragen, das über der halblangen engen Hose zusammengeknotet war und er hatte keine Schuhe an, stand einfach barfuß auf dem Gehweg. All das nahm ich in der kurzen Zeit wahr, die ich benötigte, um an ihm vorbeizugehen.
Am nächsten Morgen und auch die folgenden Tage stand er wieder an der gleichen Stelle, immer in einem blütenweißen Hemd. Ob er wohl jeden Tag ein frisches anzieht?, überlegte ich. Immer war er barfuß. Inzwischen hatte ich auch seine Augen gesehen, und ich war sicher, nie schönere erblickt zu haben.
Am dritten Tag dann lächelte er mich spontan an und rief mir ein fröhliches „Hallo“ zu, was dazu führte, dass ich über meine eigenen Füße stolperte, die sich scheinbar im Weg standen. Gerade als er hinzu sprang – vermutlich um mich aufzufangen, falls ich fallen sollte – hatte ich mein Gleichgewicht wiedergefunden und hastete weiter. Bestimmt war ich rot geworden.
Er ist ein Zigeuner, er sieht aus wie Sandor aus dem Zigeunerbaron, nur irgendwie jünger, fast ist er noch ein Junge, kein Mann. Aber er ist älter als ich. Was ist nur mit mir los, dass ich ihn nicht mehr aus dem Kopf bekomme?
Ich kann mich doch nicht in einen Typen verguckt haben, den ich nur vom Sehen kenne. Ist es das, was man als „Liebe auf den ersten Blick“ bezeichnet? Quatsch! Ich finde ihn einfach interessant. Am nächsten Morgen passierte dann das, was meinen ganzen Sommer umkrempeln sollte. Mein „Zigeuner“ kam, als er mich erblickte, auf mich zu und blieb vor mir stehen. Ich konnte also nicht weiter. „Hallo, guten Morgen“, sagte er und lächelte, was sein Gesicht unglaublich weich machte, es beinahe mädchenhaft aussehen ließ.
„Guten Morgen“, sagte ich und meine Stimme klang wie Schmirgelpapier, so meinte ich. Mein Herz klopfte und ich fürchtete, dass er es sehen könne.
„Hast du was dagegen, wenn ich dich ein Stück begleite?“ – War das gerade wahr? War das so etwas wie eine Anmache? Ich schluckte und nickte. Barfuß wie er war, lief er neben mir her. Er konnte aber nicht bis zur Schule mitgehen, was würden meine Freundinnen sagen? Oder fragen?
Meine Güte, ich benahm mich wie ein kindisches Gör. Es war doch völlig egal, was irgendjemand dachte oder sagte. Er lief hier neben mir und plauderte. Es war so einfach, mit ihm zu sprechen. Die Worte kamen auf einmal wie von selbst.
Am Eingang vom Zoo stoppte er plötzlich, nahm mich leicht bei der Schulter und drehte mich zu sich hin. „Du hast den Sommer in dir, Enyuschka“, sagte er leise und seine Augen waren sehr ernst. „Ich würde gern ein wenig den Sommer mit dir genießen“. Er schaute ins Nirgendwo, verloren plötzlich sein Blick. Ich hatte nur im Ohr, wie er mich genannt hatte. „Enyuschka“ hatte noch nie jemand zu mir gesagt und ich wusste nicht wirklich, was ich dabei empfand.
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