Titel: Schamland- Die Armut zwischen uns
Autor: Stefan Selke
Sachbuch, Econ Verlag, 279 Seiten
vorgestellt von: Ann-Bettina Schmitz
Der Soziologe Stefan Selke lehrt als Professor an der Hochschule Furtwangen. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt dort im Bereich „ Gesellschaftlicher Wandel“. Er hat zahlreiche Bücher zu soziologischen Fragen veröffentlicht. „Schamland – die Armut mitten unter uns“ ist sein neuestes Werk. In ihm kritisiert er unseren modernen Sozialstaat, der immer mehr Leistungen abbaut und sich darauf verlässt, dass private Hilfsorganisationen seine Aufgaben übernehmen.
Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Trotzdem muss hier jeder Siebte mit dem absoluten Existenzminimum auskommen. Seit 2006 beschäftigt sich der Soziologe Stefan Selke im Rahmen einer Feldforschung mit Suppenküchen, Tafeln und ähnlichen Angeboten. Dazu reiste er jahrelang durchs Land und besuchte diese Einrichtungen. Er kritisiert diese Art der modernen Armenspeisung. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf dem Gespräch mit den Betroffenen. Er meint man müsste mehr mit den Hilfeempfängern reden, statt über sie. „Schamland“ richtet sich ausdrücklich auch an Nicht-Soziologen.
Das erste, was an diesem Buch auffällt, ist die Sprache. Es ist erfreulich allgemeinverständlich geschrieben, Soziologen-Deutsch ist auf das absolute Minimum reduziert. „Schamland“ besteht aus einer Mischung von Selkes Beobachtungen, Gesprächen mit Betroffenen, Fallschilderungen und den Thesen, die Selke daraus entwickelt.
Selkes Hauptthese ist, dass sich in Deutschland mittlerweile eine Armutsökonomie herausgebildet hat, in der die Helfer sich selber feiern und die Hilfsbedürftigen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Dies wird dadurch ermöglicht, dass der Staat immer weniger Hilfen anbietet und viele daher von Angeboten wie Tafeln, Kleiderkammern und Suppenküchen abhängig werden. Diese Angebote lindern zwar die momentane Not, arbeiten aber nicht nachhaltig. Sinnvoller wäre nach Selkes Meinung Hilfe zur Selbsthilfe.
Er untermauert seine These mit beeindruckenden und beängstigenden Fallbeispielen, die zeigen, wie schnell aus einem normalen Bürger ein Hartz IV-Empfängern wird, der sich von ehrenamtlichen Mitarbeitern gängeln lassen muss. Ehemalige Selbständige, Witwen, ältere Arbeitnehmer, Kranke: sie alle hatten nie erwartet jemals hilfsbedürftig zu werden und stellen sich heute verschämt im Nachbarort bei den Tafeln an, damit sie niemand erkennt.
Beeindruckend sind auch die gesammelten Gespräche mit den Betroffenen, die zum größten Teil irgendwann aufgegeben haben und sich mit der Situation so gut es geht arrangieren. In diesem Buch bekommen diejenigen eine Stimme, die sich sonst eher schamhaft verstecken.
Insgesamt ein ebenso lesbares wie lesenswertes Buch. Es gibt Einblicke in Lebenswelten, die den meisten verschlossen sind, die aber ganz schnell zu den eigenen werden können.
Die Rezension eines weiteren, sehr interessanten Buches zu diesem Thema, geschrieben von einer Betroffenen, findest du hier.
©2013 Ann-Bettina Schmitz, ABS-TextandMore
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