Interview mit Yvonne Holthaus, Autorin des Buches „Mit dem Gesicht zur Sonne“

Ich freue mich heute Yvonne Holthaus in der ABS-Lese-Ecke zum Interview begrüßen zu können. Ihr Buch „Mit dem Gesicht zur Sonne“ unterscheidet sich sehr von den Büchern, die ich hier meistens vorstelle. Warum ? Das werdet ihr gleich sehen 🙂

Guten Tag, Yvonne Holthaus.

Dein Buch „Mit dem Gesicht zur Sonne, ist eine Autobiografie, die schon mehr einem Krimi ähnelt.
Eine Autobiografie in deinem doch noch ziemlich jungen Alter zu schreiben, ist recht ungewöhnlich. Kannst du kurz umreißen, um was es in diesem Buch geht?

Die Kernaussage meines Buches liegt darin, dass – egal, welche Tiefschläge das Schicksal für einen selbst bereithält – man immer wieder aufstehen und weiterkämpfen soll. Und das unabhängig davon, wie alt oder jung jemand ist. Mein Buch erzählt von Betrug, Vertrauensverlust und tiefem Leid. Vor allem aber von Hoffnung und dem daraus geborenen Optimismus.
Mir war es wichtig aufzuzeigen, dass man durch vielerlei Geschehnisse im Leben niedergeschmettert werden kann. Oft schier unglaubliche Erlebnisse, die man einer Frau wie mir erfahrungsgemäß nicht auf den ersten Blick zutraut.
Aber genau darum geht es: wir können Menschen nur vor den Kopf schauen, niemals hinein. Und wir sollten uns nicht anmaßen, Urteile zu fällen oder Vorurteile zu schüren, wo wir doch gar nicht wissen, was jeder Einzelne in seinem Leben vielleicht durchgemacht hat.
Darauf, dass viele Menschen nach schlimmen Erlebnissen immer noch stehen und nicht am Boden liegen oder daran zerbrochen sind, sollte der Fokus im Miteinander liegen. Und das beschreibe ich anhand meiner eigenen Geschichte in „Mit dem Gesicht zur Sonne“.

Wie bist du auf die Idee gekommen, darüber ein Buch zu schreiben. Warst du nicht froh, es endlich hinter dir zu haben? Oder war das Schreiben deine Art die Dinge zu verarbeiten?

*lacht*
Die Frage, ob ich alles mit Hilfe des Buches verarbeitet habe, kommt immer wieder und scheint wohl auch am naheliegendsten zu sein.
Tatsächlich hatte ich jedoch weit vor Erstellung des Manuskriptes mit den Dingen abgeschlossen. Sogar so weit vorher, dass ich mich beim Schreiben immer wieder darauf besinnen musste, nicht zu unemotional zu werden. Denn eine Aneinanderreihung von Fakten interessiert doch nun wirklich niemanden und lässt sich zudem einfach nur langweilig lesen. Also habe ich mich wirklich stark konzentrieren müssen, um das Fakten-Gerüst, das ich als roten Faden erstellt hatte, immer wieder mit den damaligen Emotionen zu füllen. Das war nicht immer leicht, weil ich mich bereits so unglaublich weit von allem entfernt hatte.
Außer beim Kapitel um meinen ersten Sohn – hier werde ich wohl im ganzen Leben niemals unemotional sein können, was nur natürlich ist.

Du hast dein Buch über Crowdfunding finanziert. Kannst du uns etwas darüber erzählen? Wie geht das? Welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?

Die Finanzierung über Crowdfunding ist eine Form, die hier in Deutschland noch viel zu wenig bekannt ist und dementsprechend oft erklärt werden sollte, damit es sich verbreiten kann.
Es geht darum, dass man eine tolle Idee für ein Projekt hat; das kann z. B. ein Film, ein Spiel oder, wie in meinem Fall, ein Buch sein.
Nun hätte ich alle möglichen Verlage mit meinem Exposé und Skript abklappern und als Bittsteller auf einen Autorenvertrag hoffen können. Das wollte ich aber nie und habe nicht einen einzigen Verlag kontaktiert. Ich wollte mein Buch selbst publizieren und damit alle Rechte am Buch behalten. Ich meine: es geht hier immerhin um meine eigene Lebensgeschichte!
Außerdem wollte ich mir nicht durch ein Lektorat in mein Buch reinreden lassen, wie ich dies von einigen Verlagen live bei einer anderen Autorin mitbekommen habe. Bitte nicht falsch verstehen: mein Buch wurde 3-fach lektoriert. Aber ich hatte immer noch die Schlussentscheidung, ob ich eine Umformulierung akzeptiere und umsetze oder nicht. Aber auch Grafikerin, Werbematerialien, die Erstellung der Buchwebsite und die ersten Eigenexemplare mussten ja irgendwie bezahlt werden.
All mein Stursinn *lacht* nach Freiheit kostet richtig viel Geld, was man nicht unterschätzen darf. Und viel Geld hatte ich nun wahrlich keines.

Hier kommt das Crowdfunding ins Spiel: überzeuge die „Crowd“, d. h. die Gemeinschaft auf der Plattform davon, dass Dein Projekt unterstützenswert ist. Dazu gehört eine vollkommen offene Auflistung, wofür die Gelder bei erfolgreichem Funding verwendet werden. Alles ist transparent für die Unterstützer, jeder Kostenfaktor einzeln aufgeführt. Und es gilt selbstverständlich, sein Projekt richtig gut und auffallend zu präsentieren, am besten mit kleinen Videos und ähnlichem.
Man muss sich das einmal vorstellen: ich habe Menschen, die ich nicht kenne um finanzielle Unterstützung für die Entstehung eines Buches gebeten, von dem diese nicht einmal wussten, ob es überhaupt lesenswert sein würde. Denn das Skript war zu Beginn des Crowdfundings im Februar gerade einmal zur Hälfte fertig und noch nicht lektoriert.
Es war ein harter Kampf, denn ich hatte nur 3 Monate Zeit, um die kalkulierten 6.000 Euro zusammenzubekommen. So viel hat alles insgesamt gekostet. Die Unterstützer waren frei in der Wahl ihres Zuschussbeitrages und je nach Höhe, gab es nach Erfolg ein „Dankeschön“ zurück. (Wäre das Projekt gescheitert, hätten übrigens alle bisherigen Unterstützer ihr Geld automatisch von der Plattform zurücküberwiesen bekommen. Es zählt das Alles-oder Nichts-Prinzip – eine Auszahlung gibt es nur bei Erreichen der vollständigen Summe!)
Auf diese Art haben über 70 Leute beispielsweise das Buch vorfinanziert. Das heißt, Sie haben das Funding mit wenigstens 30 Euro unterstützt, wobei das Buch im Verkauf 24,80 Euro gekostet hat. Mindestens 5,20 Euro waren dann also ein „Bonus“ oben drauf und als das Funding durch war, haben alle ab 30 Euro das Buch zuerst bekommen, bevor es überhaupt in den Verkauf ging.
Das war eine der spannendsten Zeiten überhaupt, denn jetzt erst konnte ich mir ja ein echtes Feedback von externen Lesern einholen. Was gottseidank positiv ausfiel.
Das Crowdfunding zu organisieren, zu betreuen und immer wieder mit neuen Infos am Laufen zu halten, war für 3 Monate tatsächlich ein Vollzeitjob. Wer also meint, das sei mit ein paar Stündchen nebenbei in der Woche zu schaffen, der irrt gewaltig.

Auf deiner Homepage habe ich eine Ankündigung gefunden, dass 10% der Bucherlöse an eine gemeinnützige Organisation gehen sollen, die deine Seitenbesucher per Abstimmung bestimmen können. Allerdings habe ich nichts über eine Abstimmung oder deren Ergebnis gefunden. Hat es die Abstimmung nie gegeben? Ist die Idee gestorben?

Es ist korrekt, dass ich nach wie vor einen Teil meiner Bucherlöse für gute Zwecke geben werde. Dies sind übrigens immer mindestens 10 %, gerne auch etwas mehr.
Du hast Recht, dass bisher noch keine offizielle Abstimmung stattgefunden hat, jedenfalls nicht auf der Buch-Website. Auf der Facebook-Fanpage (die sich immer über neue Fans freut!) zum Buch habe ich vor einigen Monaten eine Umfrage gestartet, welche gemeinnützigen Organisationen von meinen Lesern vorgeschlagen werden. Da kamen immens tolle Sachen raus, die jetzt im Frühjahr in eine Abstimmung gehen. Darunter sind Kinderhilfsprojekte genauso wie Meeres- oder Tierschutz oder die Deutsche Knochenmarkspenderdatei.

Allerdings bedeutet das nicht, ich hätte nicht schon gespendet. Denn auch das findest Du auf der Buch-Website: die Veröffentlichung meines Buches fiel genau in den Monat Juni, in dem das Jahrtausend-Hochwasser vielen Menschen die Existenz unter den Füßen weggezogen hat.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht einen einzigen Cent verdient, auch wenn es schon einige EBook-Verkäufe gab – die Provisions-Auszahlungen gibt es immer erst 3 Monate später (meine allererste gab es im September).
Da ich hier in der Passauer Umgebung aber so nah dran war, wie wohl nur wenige und das Elend quasi live vor der Haustür miterlebt hatte, habe ich mich dazu entschlossen meine bis zu diesem Tag komplett eingenommenen Bucherlöse an die Hochwasser-Opfer zu geben. Und zwar nicht anonym über irgendwelche für mich nicht verfolgbaren Spendenkanäle, sondern tatsächlich 1-zu-1 den betroffenen Menschen, die wirklich NICHTS mehr hatten: keine Schuhe, keine Lebensmittel, keine Bettdecken. Von denen gab es hier mehr als genug, das kannst Du mir glauben.
Ich hatte wie gesagt noch nicht einen Cent auf dem Konto verbuchen können, habe aber 250 Euro in die Hand genommen, weil mir die Online-Konten der Ebook-Anbieter knapp 200 Euro anzeigten. Ich habe privat noch etwas aufgestockt und mit diesem Geld direkt vor Ort geholfen.
Wenn ich dies jetzt auf den von mir anvisierten Spendenbetrag umrechne, so hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch jede Menge „Luft“, bis ich auf einen Bucherlös von 2.500 Euro blicken konnte, von dem ich dann die mindestens 10 % (sprich: die 250 Euro) genommen hätte.

Nichtsdestotrotz wird diese Aktion so lange weiterlaufen, wie es Buchverkäufe gibt, und wer mein Buch gelesen hat und mich einschätzen kann, der weiß, dass ich dazu stehe.

Wie haben deine Freunde und Bekannten auf dein Buch reagiert?

Man mag es glauben oder nicht, aber ich habe bis dato noch keine einzige negative Rückmeldung bekommen. Mag aber vielleicht auch daran liegen, dass diejenigen, denen es nicht gefällt, einfach nichts sagen. *lacht*
Ach doch: eine selbsternannte Literaturkennerin hat meinem Buch im Rahmen einer Leserunde bei Lovelybooks.de ein „Literarisch indiskutabel“ attestiert – dies allerdings, ohne es der Allgemeinheit näher zu erläutern. Ein Emblem, mit dem ich daher durchaus leben kann. *lächelt*
Denn auch, wenn es viele nicht glauben möchten: ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass sämtliche Rezensionen – egal, ob bei amazon oder sonstwo – echt sind! Keine Einzige ist gepfuscht, das würde vollkommen meinem Konzept und meiner Ethik widersprechen.

Ich bekomme unglaublich tolle Mails von Menschen, die ich nicht einmal kenne und die mir danken, weil sie aus „Mit dem Gesicht zur Sonne“ Mut und Inspiration gezogen haben. Das freut mich immer wieder wie beim ersten Mal, denn das war der Grund, weshalb ich es geschrieben habe.
Von meinen Freunden und Bekannten habe ich ganz konkrete Rückmeldungen bekommen und die waren erfreulicherweise auch durchweg positiv. Oft aber auch daher, weil sie selbst gar nicht meine komplette Geschichte kannten, sondern nur Teile daraus und deswegen umso erstaunter waren, welche Facetten in mir schlummern.

Am schönsten war für mich die Rückmeldung einer meiner Tanten, die ich das letzte Mal vor über 30 Jahren gesehen habe. (Zu meiner leiblichen Familie habe ich ja ohnehin keinen Kontakt mehr und dies schon lange vor Erscheinen meines Buches.) Diese Tante hatte eine Fotoreportage über „Mit dem Gesicht zur Sonne“ in einer Frauenzeitschrift gelesen und konnte es kaum glauben. Es hat sich ein schöner, wenn auch sporadischer Kontakt hergestellt und sie hat durch meine Biographie viel von dem erfahren, an dem sie selbst aufgrund der Familienentzweiungen nicht mehr teilhaben konnte.

Du lebst im Moment mit Mann, Kind, Schwiegereltern und zwei Hunden in einem Dreigenerationenhaus. Hat sich das einfach so ergeben oder ist das ein bewusstes Projekt?

Unsere Wohnsituation gleicht tatsächlich einer Bilderbuchfamilie – fast schon kitschig, nicht wahr?! *lacht*
Aber dies hat sich in der Tat nicht einfach so ergeben, sondern war von langer Hand geplant. Mein Mann und ich haben ein kleines Häuschen für uns gesucht und es war klar, dass dies im Süden Deutschlands oder in sogar in Österreich stehen sollte. Die Schwester meines Mannes lebt dort mit ihrer Familie und so würde die Groß-Familie etwas näher zusammenrücken. Denn von Darmstadt bei Frankfurt, wo er aufgewachsen war und seine Eltern bis dato auch noch lebten, war dies immer eine Riesenfahrerei.
Es kristallisierte sich dann schnell heraus, dass die Schwiegereltern bereit waren, mit in dieses Wohnprojekt einzusteigen, wohlwissend, dass jeder von uns auf getrennte in sich geschlossene Wohnbereiche besteht – da waren wir uns alle einig und wir haben dies offen miteinander besprochen.
Wichtig ist meinem Mann und mir, dass wir zu jeder Zeit helfen könnten, wenn es gesundheitliche Probleme gäbe und dass meine Schwiegereltern keine 760-Kilometer-Distanz mehr bis zu ihrer Tochter und den Enkeln zurücklegen müssen, sondern nur noch 260 Kilometer.

Wirst du weitere Bücher schreiben oder war das eine einmalige Aktion?

Auch diese Frage bekomme ich ganz oft gestellt und die Intentionen der Leser sind hier ganz verschieden.
Interessant finde ich persönlich immer wieder die Vorschläge, dass ich es doch auch einmal in einem Krimi- oder Roman-Genre versuchen sollte. Vielen Lesern scheint mein schnörkelloser und klarer Schreibstil zu liegen und reizen würde es mich schon. Allerdings vertrat ich bisher immer den Standpunkt, dass ich alle fiktionalen Autoren massiv für ihre Kreativität und deren Umsetzung bewundert habe. Denn – seien wir mal ehrlich – eine Autobiographie ist ja an sich nur ein etwas umfangreicher geschriebenes Tagebuch. *lacht* Da ist nicht viel Platz für Kreativität, wenn man an den Fakten bleiben muss beziehungsweise will.
Vielleicht küsst mich tatsächlich noch die Muse oder ich habe eine wirklich tolle Idee, die ich dann selbstverständlich auch zu Papier bringen werde.

Allerdings gibt es ein Buchprojekt, das mir sehr wohl noch im Kopf rumschwirrt, aber noch nicht zu Papier gebracht wurde. Aktuell bin ich im Stadium der Stoff- und Ideensammlung. Denn ganz viele Leser gaben mir als Feedback auch eine Frage mit auf den Weg: „Es ist ja toll, dass du das alles geschafft hast, dich aus den Krisen freigekämpft hast, etc. Aber wie hast Du es geschafft?“
Die Frage nach den Möglichkeiten und Varianten einer Krisenverarbeitung und Wachstum hieraus, scheint also ein großes Thema zu sein, dem ich mich in Buchform durchaus gewachsen sehe.

Möchtest du den Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?

Klar – lest mein Buch! *lacht-laut*
Im Ernst: mir ist es wirklich eine Herzensangelegenheit, dass sich die Menschen nicht unterkriegen lassen und aus ihrem Eigenbrödler-Denken herauskommen.
So viel Schlimmes passiert heutzutage, wo man nur hinschaut, aber wir sehen weg – es betrifft uns ja nicht selbst. Aber oft ist der schlimmste Krimi gar nicht der, der am Sonntag-Abend im Fernsehen läuft, sondern der, der in der eigenen Straße stattfindet – hinter verschlossenen Türen.
Das Problem ist, dass wir schon lange nicht mehr in der heilen Welt leben, die wir uns so vorgaukeln. Wir brauchen nicht auf einen anderen Kontinent zu schauen, um Armut zu sehen. Da genügt schon ein Blick in die nächste oder eigene Großstadt und darauf, wie viele Schulkinder unter der Armutsgrenze leben und ihr Mittagessen bei den Tafeln bekommen (eine großartige Institution übrigens!).
Wenn man helfen kann und dies auch möchte, dann braucht es nicht immer finanziell zu sein. Nicht immer muss man sich groß anstrengen oder über die Maßen aus dem Fenster lehnen. Einem Obdachlosen, der an der Straße sitzt, anstatt eines abwertenden Blickes vielleicht einfach ein belegtes Brötchen kaufen und schenken bricht doch niemandem einen Zacken aus der Krone und macht um maximal 3 Euro ärmer. Dem Obdachlosen beschert es aber vielleicht den Rest des Tages nicht nur ein Sättigungsgefühl, sondern auch eine entgegengebrachte Wertschätzung.
Jeder hat seine Geschichte und hier schließe ich den Kreis zum Anfang: ihr könnt den Menschen immer nur vor den Kopf schauen, niemals hinein. Daher wisst ihr nicht, was jemand bereits erlebt hat und weswegen er beispielsweise auf der Straße sitzt… und ob es euch nicht auch treffen könnte.

Vielen Dank für das Interview, Yvonne Holthaus. Ich wünsche dir weiterhin viel Glück und Erfolg!

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