Mein heutiger Interview-Gast hat ein breites Spektrum an Interessen, die sich auch in ihren Büchern niederschlagen.
Guten Tag Ingeborg Höverkamp.
Grüß Gott, Bettina Schmitz.
Bevor du dich ganz auf das Schreiben konzentriert hast, warst du Realschullehrerin für Englisch und Geschichte. Da drängt sich automatisch die Frage auf: „Warum Englisch und nicht Deutsch?“.
Damals glaubte ich, weil ich in Deutsch keine Eins im Abizeugnis hatte, könnte ich das Fach nicht studieren, obwohl ich es gern studiert hätte. Deshalb bin ich auf Anglistik ausgewichen. Der Vorteil meiner Entscheidung ist, dass ich mich in der deutschen wie in der englischen Literatur bestens auskenne. Die Kenntnisse eines Germanistik-Studiums und das Know-how für eine Autorin habe ich mir selbst erarbeitet.
Vor ziemlich genau einem Jahr hast du das Lesebuch „Weihnachten – Vom Wintermärchen zum Stall von Bethlehem“ als Herausgeberin veröffentlicht. Erzähl uns doch etwas darüber.
Für ein Lesebuch muss man viele Autoren/innen gewinnen. Es ist mir gelungen, auch renommierte Schriftsteller zu überzeugen, dass ihre Geschichte prima in unser Buch passen würde. Es ist ein Weihnachtsbuch geworden, das alle Facetten und Perspektiven von Weihnachten einschließt. Da sind Geschichten über den Zauber der Weihnacht der Kindheit, ein Briefdokument aus sibirischer Gefangenschaft Weihnachten 1947, Erlebnisse im Erzgebirge und in Russland, vom weltberühmten Nürnberger Christkindlesmarkt, eine Erzählung, wie eine Krippenfigur am Heiligen Abend lebendig wird, Pannen bei einem Weihnachtsfestessen, von einer Weltreise rund um den Weihnachtsstern uvm.
In diesem Buch sind auch einige Geschichten von Teilnehmern der Schreibwerkstatt „Blaue Feder“ vertreten. Was hat man sich denn unter dieser Schreibwerkstatt vorzustellen?
Die Teilnehmer- und Teilnehmerinnen kommen aus den verschiedensten Berufen und haben sich entschlossen, ihre Lebensgeschichte oder die Geschichte ihrer Familie aufzuschreiben. Die meisten Mitglieder meiner Schreibwerkstatt sind schon im Ruhestand. Der Titel unseres monatlichen Workshops lautet: „Die Heilkraft der Erinnerung – Wie ich wurde, wer ich bin.“ Schon von diesem Titel lässt sich ablesen, dass es in unserem Workshop nicht nur darum geht, die „Zehn Goldenen Regeln des Schreibens“, Grammatik und Stil zu üben, sondern der Kurs hat eine psychologische Dimension, d. h. wenn es z. B. um Schicksalsschläge geht, versuchen wir in der Runde den Menschen aufzufangen und herauszufinden, inwiefern das Aufschreiben dieses Schicksalsschlags Heilkräfte entfaltet hat oder noch entfalten wird. Das ist ein sensibler Prozess. Neben dem Vorlesen und Besprechen der Geschichten besuchen wir auch Orte, die neue Schreibimpulse geben, wie Beobachtungen am Bahnhof, Besuch des Nürnberger Spielzeugmuseums, Ausstellungen, z.B. für unser Buch „Nürnberg – von der Trümmerstadt zur Frankenmetropole“ haben wir die Ausstellung „Wiederaufbau in Nürnberg“ besucht, Besuch von Museen, Betrachtung von Kunstwerken in Kirchen, die für unser Leben eine Bedeutung haben könnten, Aufenthalt und Beobachtungen in einem Café – zu Charakterstudien und Beschreibung des Äußeren uvm. Die Teilnehmer/innen haben das Ziel, ein Buch mit ihrer Autobiografie herauszugeben, zwei sehr gut gelungene Bücher haben schon das Licht der Welt erblickt.
Den Begriff „Lesebuch“ habe ich aus der Beschreibung im Nürnbergwiki übernommen. Aber ist er nicht eigentlich Unsinn? Schließlich ist doch jedes Buch – mit Ausnahme der Bilderbücher – zum Lesen da. Was soll an dieser Stelle damit ausgedrückt werden?
Ein Lesebuch ist ein Buch mit vielen Geschichten von verschiedenen Autoren, wie auch ein Schullesebuch. Man könnte eine solche Publikation auch „Anthologie“ nennen, doch mit diesem Fremdwort können oft nur Autoren selbst etwas anfangen, deshalb ist der Begriff „Lesebuch“ breitenwirksamer.
Ein Thema, das dich sehr zu beschäftigen scheint, ist der 2. Weltkrieg bzw. die Nachkriegszeit. Dazu hast du zwei Anthologien „Nie wieder Krieg! Die Schicksalsjahre 1933 bis 1949“ und „Von der Trümmerstadt zur Frankenmetropole. Nürnberg von 1945 bis heute“ herausgebracht, in denen auch Geschichten von dir enthalten sind. Welche Bedeutung hat diese Zeit für dich?
Mein zweites Studienfach war Geschichte. Außerdem bin ich ein Nachkriegskind, das die Folgen dieses furchtbaren II. Weltkriegs mit eigenen Augen gesehen hat: Kriegsversehrte, Städte wie Nürnberg, nur noch in Trümmern, Geschichten von den Eltern über das furchtbare Kriegsgeschehen, wie Bombennächte, Verlust von Angehörigen, Hunger, mit viel Glück überstandene Situationen, die Vater im Krieg überlebt hat, Obdachlosigkeit, Kriegerwitwen- und -waisen, Familien, die verzweifelt auf ihre vermissten Angehörigen warteten. So bin ich zur Zeitzeugin geworden durch Sehen und Hören der Ereignisse, letztere von unmittelbaren Zeugen. Verflochten mit dieser Zeit von 1933 bis 1945 ist der Nationalsozialismus, dessen Auswirkungen auf Deutsche und – in unvorstellbarem – Ausmaß für die jüdische Bevölkerung mich zutiefst erschütterte. So ist diese Zeit in drei Bücher eingeflossen: In meinen Roman „Zähl nicht, was bitter war“, „Nie wieder Krieg“ und „Nürnberg von der Trümmerzeit zur Frankenmetropole. Besonders stolz bin ich darauf, dass die Stadt Nürnberg, einst eine Hochburg im Nationalsozialismus, diese dunkle Vergangenheit aufgearbeitet hat: mit dem Museum „Dokumentationszentrum“, mit dem Museum in dem Gebäude, in dem die „Nürnberger Prozesse“ 1945 stattgefunden haben, mit der Verleihung des Menschenrechtspreises, mit der „Straße für Menschenrechte“, mit vielen Veranstaltungen und der jahrzehntelangen Aufarbeitung in den Nürnberger Nachrichten.
Außerdem hast du einen Krimi herausgebracht: „Tödlicher Tee“. Das ist ja nun etwas ganz anderes. Liest du selber gerne Krimis oder wie bist du auf diese Idee gekommen?
Manchmal braucht man einen Impuls, um sich auf ein völlig anderes Genre zu wagen. Dieser Impuls bestand in einem Preisausschreiben für einen Kriminalroman. Ich war nicht so vermessen, zu erwarten, mit meinem ersten Krimi gleich einen Preis zu gewinnen, aber es reizte mich, mal einen Krimi zu schreiben. Übrigens schaue ich im Fernsehen niemals einen Krimi an. Ein Buch hat mir das Know-how gezeigt, das ganz anders ist, als bei einem Roman. Ein „Fall“ flog mir eines Tages zu und so machte ich mich an die Arbeit. Der Krimi ist mein bisher erfolgreichstes Buch geworden.
Du bist Mitglied in verschiedenen Autorenverbänden. Das ist für eine Autorin ja nichts Ungewöhnliches. Anders sieht es mit deiner Mitgliedschaft in der Landsmannschaft der Oberschlesier aus. Ist das nicht mittlerweile etwas aus der Zeit gefallen? Schließlich dürften die „echten“ Oberschlesier mittlerweile fast ausgestorben sein.
Zu der Landsmannschaft der Oberschlesier bin wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Als ich meinen Familienroman „Zähl nicht, was bitter war ….“, der auch die Zeit, als meine Großeltern und mein Vater in Oberschlesien lebten, beschreibt, publiziert war, empfahl mir ein Bekannter, mich an die Landsmannschaft wegen einer Lesung zu wenden. Ich wurde zu einer Lesung eingeladen, wurde Mitglied, auch mein Vater, der mich bis einige Jahre vor seinem Tod zu meinen Veranstaltungen bei den Oberschlesiern begleitete, wurden doch auf diese Weise Erinnerungen an seine Heimat wach. Nein, die Oberschlesier sterben nicht aus. Erstens bleiben sie „unter sich“ und bewahren auf diese Weise den schönen Dialekt und zweitens kommen bis heute noch Spätaussiedler aus Oberschlesien. Ich empfinde mich als Bindeglied zwischen der alten und neuen Heimat, denn ich bringe ihnen durch meine Lesungen die Geschichte und Kultur ihrer neuen Heimat nahe und erfahre im Gegenzug Interessantes über Schlesien, der Heimat meiner Vorfahren.
Woran schreibst du zurzeit?
Es ist ein Mammutprojekt, das mich viele Jahre in Anspruch nimmt: Eine Biografie über den Journalisten, Autor und Professor Dr. Wolfgang Buhl, der zuletzt 27 Jahre Studioleiter beim BR-Franken-Studio war. (1927-2014). Siehe www.nuernbergwiki.de
Dort auf der Startseite auf „Suchen“ den Namen „Wolfgang Buhl“ eingeben.
Der Nachlass ist riesengroß, seine zahlreichen Bücher, Briefe und Dokumente, Zeitungsausschnitte, die er selbst als Journalist in den zehn Jahren, die er bei den Nürnberger Nachrichten war, geschrieben hat, sowie Artikel über ihn und seine Bücher, dann meine Recherchen, meine Interviews mit ihm und mit zahlreichen Zeitzeugen, Kollegen und Freunden. Es macht Freude, man braucht einen langen Atem und muss sich immer wieder selbst motivieren.
Was möchtest du den Leser*innen sonst noch erzählen?
Es gibt ein Zitat von Hilde Domin, das ich sehr liebe und den Lesern Stoff zum Nachdenken gibt.
„Schreiben ist wie Atmen. Man stirbt, wenn man es lässt.“
Für ein Plakat zu einer Lesung wurde ich gefragt: „Was würden Sie jüngeren Autoren mit auf den Weg geben“?
Anfangs sollten sich jüngere Autoren bewusst machen, dass die Begabung allein nicht ausreicht, um ein(e) etablierte/r Autor/in zu werden. Das sogenannte Handwerkszeug muss gründlich erlernt werden, sei es in Kursen oder über eine Fernakademie.
Mein Werdegang als Autorin ist ungewöhnlich. Ich habe viele Jahre Englisch unterrichtet, bis mich eine chronische Krankheit zwang, meinen Beruf aufzugeben. Ich überlegte, was vielleicht noch möglich wäre. Da ich schon immer gern geschrieben habe, war es naheliegend, wieder zu schreiben. Bescheiden habe ich zunächst nur für mich, die Familie und Freunde geschrieben, dann bat mich meine Heimatgemeinde, eine Biografie über die fränkische Schriftstellerin und Malerin Elisabeth Engelhardt zu schreiben. Nachdem ich mich bei arrivierten Schriftsteller/innen kundig gemacht hatte, wie man eine Biografie schreibt, habe ich mich in die Arbeit gestürzt. Das Buch wurde ein großer Erfolg. Ich habe dafür einen Literaturpreis erhalten, vorher schon einen Preis für Lyrik und weitere Preise folgten.
Vielen Dank für das Interview, Ingeborg Höverkamp. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg mit deinen Büchern.